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16. September 2004

So schnell kann's gehen!

Bingo! In Rekordzeit von weniger als einer Woche vom ersten Anschauen bis zur erfolgreichen Zulassung und Versicherung sind wir nun zu einem fahrbaren Untersatz gekommen. Und das trotz der Tatsache, dass der Firmensitz der Versicherung in Oviedo, Florida, liegt und der letzte Wirbelsturm dort ein paar Tage fuer fehlende Elektrizitaet sorgte. Das Prachtstueck ist ein GMC Safari (Hand auf's Herz: Wer kann sich unter dieser Bezeichnung etwas vorstellen? Wir bis zum letzten Montag auch nicht!). Also ein Minivan, Baujahr 1990, 276000 km – mit anderen Worten: dieses Fahrzeug verpestet nicht einfach so die Luft, sondern es atmet Geschichte! Immerhin Klimaanlage, elektrische Fensterheber und elektrisch verstellbare Spiegel, Tempomat, Zentralverriegelung, Kaffeebecherhalter inbegriffen. Sicherheitshalber sind wir von der Werkstatt in Toronto gleich zum CAA, dem kanadischen Automobilclub, gefahren und haben eine PLUS-Mitgliedschaft abgeschlossen. Wer weiss, wozu das noch mal gut ist. Und bei einem Preis von 1600$ (alle Scheine und Zulassung schon inbegriffen) liess sich der CAA gerade noch so finanzieren. Sehr beeindruckt waren wir wieder einmal, wie Hossien (der Automechaniker meines Vetrauens hier in Ontario [@Lutz Ortmann in Below: Ich habe bislang gedacht, Dich gibt's nicht nochmal. Stimmt nicht ganz. Du heisst hier nur Hossien!]) mit ein bisschen Bauernblind aus einer Rostlaube ein Gefaehrt gemacht hat, mit dem man sich hier nicht blamiert. Das wiederum ist nun auch keine grosse Kunst, hier gibt es zwar auch die Pendants zu HU und ASU, aber ob die Autos auf Ontarios Strassen auch alle eine deutsche Plakette bekommen wuerden...? Zweifel sind angebracht. Das hemmungslose Korrodieren der kanadischen Karossen ist zu einem grossen Teil auch den Strassenverhaeltnissen im Winter zuzuschreiben. Auf die Frage, ob denn auch die Winterreifen gleich dabei waeren, erntete ich ein Kopfschuetteln und die Bemerkung, dass Kanadas Strassen im Winter frei gesalzen seien. Da wuerden auch 4-Seasons-Reifen ihren Dienst tun. Winterreifen faehrt hier niemand.
Ueber den Benzinverbrauch auf 100 km liegen uns im Uebrigen noch keine Daten vor. Klar scheint bislang nur zu sein, dass eine 4,5-Liter- Maschine nicht mit 4,5 Litern Benzin auf 100 km auskommt...

So musste dann auch am Sonntag nun endlich der Zoo Toronto angefahren werden. Der Zoo ist 1974 neu angelegt worden. Eine klare Gliederung in verschiedene geographische Regionen macht die Orientierung in dem grosszuegigen und attraktiv eingerichteten Areal moeglich. Ein Shuttle-Service bringt die Besucher auf Wunsch (und gegen Bezahlung) von einem 'Erdteil' zum anderen. Viel konsequenter als in deutschen Zoos wird auf die pure (und eintraegliche) Unterhaltung der Besucher Wert gelegt. Ueppig dimensionierte Wasserspielplaetze fuer die Kinder, Kindergesichterbemalen (fuer 5$), Safarisimulatoren (eine Schuettelbuechse, in der ein Film gezeigt wird), Kamelreiten, Tiershows etc. halten die Massen bis zum Toresschluss auf dem Gelaende. Auch einen Kinderzoo gibt es, der Name war aber irrefuehrend, da auch hier nur Tiere zu sehen waren. Aufgefallen im Gegensatz zu den uns bislang bekannten Zoos: Es gab kein einziges Streichelgehege. Das wollte man den Tieren mit jaehrlich mehr als 1 Mio Besuchern verstaendlicherweise wohl nicht zumuten. Die einzigen Tiere, die Kontakt suchten, waren gefraessige und auf Touris abgerichtete Wildgaense, die sich in der Naehe der Imbisse aufhielten.

Die Fahrt zum Zoo fuehrte ueber die Autobahn. Gluecklicherweise hatten wir seit August schon mehrere Male die Gelegenheit, als Beifahrer das Treiben zu beobachten und uns ganz langsam mit dem Gedanken anzufreunden, auf bis zu achtspurigen Autobahnen (um Missverstaendnissen vorzubeugen: in jede Richtung acht Spuren!) sowohl voranzukommen als auch zu ueberleben. Das Ueberholen anderer Fahrzeuge ist sowohl links als auch rechts statthaft. Was das Fahren auf den Highways hier ertraeglich macht, ist die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h. Nun sind uns bislang die kanadischen Bussgeldkataloge nicht bekannt, das auffallend wohlfeile Verhalten fast aller Autofahrer laesst Raum zur Vermutung, dass die zu zahlenden Summen gesalzen sind. Oder sollten hier etwa alle freiwillig so vernuenftig sein? Die acht Spuren einer Fahrtrichtung werden noch einmal unterteilt. Vier Spuren in der Mitte sind der Expressway, hier faehrt man mit konstanter Geschwindigkeit nur gerade aus. In groesseren Abstaenden ist entweder der Wechsel von oder der Wechsel nach den vier Collector-Spuren aussen moeglich. In diese Spuren faehrt man, wenn man an einer der naechsten Abfahrten die Autobahn verlassen will, oder gerade auf die Autobahn gefahren ist.
Das Rechtsabbiegen bei Rot an Ampelkreuzungen ist hier mit der gebotenen Vorsicht ohne irgendwelche gruenen Pfeile moeglich, da fuehlt man sich an Kindertage zurueckerinnert. (bis 1976 ging das doch auch bei uns, oder?) Generell sieht man auf den Strassen erstaunlich wenig Verkehrsschilder, trotzdem laeuft es zuegig und komplikationslos. Hauptstrassenschilder gibt es gar nicht, wer kein Stoppschild sieht, hat Vorfahrt. An gleichberechtigten Kreuzungen steht eben an jeder Strasse ein Stoppschild. Wer zuerst da war, darf auch zuerst weiterfahren. Und Spitzfindigkeiten wie abbiegende Hauptstrassen braucht man ja nicht wirklich. Die spartanische Beschilderung gilt allerdings auch fuer Richtungswegweiser auf Autobahnen, die ortsunkundige Fahrer, wie wir es noch sind, zu z.T. sehr spontanem Fahrverhalten animiert.

Das Auto erleichtert uns die morgendliche Fahrt zum Kindergarten enorm. Die Kinder haben sich vom ersten Augenblick dort wohl gefuehlt. Ein paradiesisch zu nennender Betreuungsschluessel von zwei Erzieherinnen fuer zwoelf Kinder macht die raeumlichen Nachteile, die ein umfunktioniertes Einfamilienhaus fuer den Betrieb eines Kindergartens mit sich bringt, wieder wett. Beide Kinder sind in einer Gruppe, die Familien ihrer Erzieherinnen Ms Nicole und Mrs Shemene kommen urspruenglich aus Jamaica und Trinidad und um die Internationalitaet perfekt zu machen, lernen die Kinder mit Franzoesisch und Spanisch auch noch zwei Fremdsprachen. Wenn nach wenigen Tagen ein Vergleich ueberhaupt moeglich ist, so scheint es, dass hier die Person der Erzieherin staerker das Geschehen und die Taetigkeit der Kinder fuehrt. Die Planung der Aktivitaeten und thematischen Wochenschwerpunkte haengt fuer einen ganzen Monat sehr detailliert im Voraus aus. Schwerpunkte in diesem Monat sind z.B.: Meine Freunde, Gefuehle oder auch Sicherheit (im Haushalt, auf der Strasse...). Daneben taegliche Uebungen wie Wetterbeobachtung, Franzoesisch und Spanisch, motorische Uebungen zur Vorbereitung des Schreibenlernens, in der Regel auch altersmaessig differenziert, so dass eine Erzieherin dann ca. sechs Kinder gut beobachten kann.
Die Kinder haben sich erstaunlich schnell zurecht gefunden und gehen gern dorthin. Auf Nachfrage erfuhren wir, dass das sehr strukturiert geplante paedagogische Konzept nicht in jeder Gruppe und schon gar nicht in jeder Einrichtung ueblich ist, auch hier gibt es Kinderaufbewahrungsanstalten, in denen die Kinder nur beim Spielen und Fernsehgucken beaufsichtigt werden, mit dem einzigen Ziel, sichtbare Schaeden an den lieben Kleinen zu vermeiden. Moeglicherweise haben wir auch hier bei der Wahl des Kindergartens wieder ein glueckliches Haendchen gehabt. An die Tatsache, dass das Mittagessen schon mal ein HotDog sein kann, muessen wir uns hier in Nordamerika allerdings erst einmal gewoehnen, oft gibt es aber auch Nudeln mit Tomatensauce satt.

Eine Vermittlung religioeser Werte findet hier zu unserer grossen Freude und entgegen unseren Befuerchtungen nicht im Kindergarten statt. Das Zusammenleben verschiedener Religionsgemeinschaften hat zur Folge, dass Religion Privatsache ist und keine 'Platzhirsche' das gesellschaftliche Leben monopolartig bestimmen. So gibt es dann auch eine grosse Vielfalt an Moscheen, Kirchen nebst angeschlossenen Privatschulen. Das war nicht immer so. Lange Zeit war der Katholizismus bestimmend und bis in die 60er Jahre hinein, so las ich, war es moeglich, dass der Pfarrer in die Familien kam und sich besorgt nach dem Stand der Beziehung erkundigte, wenn die Zahl der Kinder bei nur vier Exemplaren stagnierte.

Eine Flasche Sekt gab's beim Kauf des Autos diesmal nicht, so dass wir beschlossen, nun mal die naechste Sorte kanadisches Bier zu verkosten. Also zum Beer-Store! Der kaeufliche Erwerb von Alkohol wird hier offensichtlich mit besonderer Sorgfalt organisiert. Nicht nur, dass es spezielle Laeden gibt, die das Bier zu speziellen Preisen feilbieten (Wer den Freitod durch Leberzirrhose waehlen will, sollte NICHT nach Kanada auswandern. Hoechstwahrscheinlich ist es nicht bezahlbar.), auch die Organisation des Verkaufs stellt die weihevolle Aura eines Intershopbesuchs zu DDR-Zeiten weit in den Schatten. Im Laden gibt es von jeder erhaeltlichen Bierflasche ein (leeres!) Exemplar zur Anschauung im Regal. Die Auswahl ist beachtlich und sehr international. Nach der Qual der Wahl geht man zur Kasse und gibt seine Bestellung auf. Die Bestellung wird in das Back-Office (etwas profaner formuliert: in den nicht einsehbaren und schon gar nicht zugaenglichen Lagerraum) per Wechselsprechanlage uebermittelt und nach wenigen Augenblicken gespannten Wartens kommt aus einer Luke ueber eine Art Foerderband der SixPak, oder was immer man geordert hat, auf den Konsumenten zugerollt. GEKUEHLT, wohlgemerkt!

Mit der neugewonnenen Freiheit (Freiheit - ist das Kanada plus Motorisierung?) konnten wir nun am Mittwoch das Ziel der Ziele ansteuern, die Niagara Falls. Man verneige sich in Ehrfurcht vor der Gilde der Fotografen, die durch geschickte Wahl von Blickwinkeln, Motiven und Belichtungen dem gemeinen Europaeer suggerieren koennen, die Niagara Falls seien Bestandteil eines natuerlichen Biotops. In der Realitaet sind beide Seiten des Flusses zugebaut mit Hotels, Restaurants, Casinos, Aussichtstuermen. Auf der U.S.-amerikanischen Seite wird ein Ballon mit Touri's an einem Seil in die Luefte gelassen, Helikopterfluege sind ebenfalls buchbar. Ines kennt einen Spruch, der da heisst: “An der Stelle, wo ein Regenbogen die Erde beruehrt, ist Gold zu finden.“ Das gilt fuer Niagara Falls!. Durch die aufgewirbelten und ueberall durch die Luft schwebenden Wassertropfen kann man praktisch an jeder Stelle mindestens einen Regenbogen sehen, also hier wird das Geld de facto gedruckt. Mit Booten kann man sich bis auf wenige Meter an den Wasserfall heranfahren lassen, allerdings nur auf der unteren Ebene. Wir entschieden uns fuer 'Journey behind the falls'. Ueber einen Aufzug im Inneren des Bergs wird man fast bis auf den Grund des Wasserfalls gebracht und kann dort, von einem umwerfend schicken Regenumhang geschuetzt, einen Ausblick dicht neben und auch unmittelbar hinter den herabstuerzenden Wassermassen geniessen. Anschliessend ist man erfrischt und gut geduscht. Muss man erwaehnen, dass unsere Fotos auch moeglichst viel Natur zeigen sollten?Die Rueckfahrt verzoegerte sich ein wenig, da wir, am Parkplatz angekommen, feststellen mussten, dass sich die Luft im hinteren rechten Reifen in Luft aufgeloest hatte. Die Mitgliedschaft im CAA beginnt sich also schnell zu rechnen. Ich muss gestehen, dass ich mit dem Wechseln des Rades hoffnungslos ueberfordert gewesen waere, denn um das Ersatzrad vom Fahrzeugboden zu loesen, musste man mit einem ueberdimensionierten Schraubenzieher von etwa einem halben Meter Laenge durch eine kleine Oeffnung im Tuerrahmen der Hecktuer eine festgerostete Schraube loesen. Haette ich niemals allein gefunden!

Die Aktivitaeten der Kanadier am Wochenende finden nicht selten in den gut gepflegten, kinderfreundlichen, zahlreichen Parks in der nahen Umgebung statt. Da Kleingaertnerei hierzulande komplett unbekannt ist und die Grundstuecksgroessen von Einfamilienhausen nur selten Platz fuer mehr als ein Haeuschen und zwei Garagen lassen (Dagegen ist jede neu erbaute Eigenheimsiedlung in Deutschland grosszuegig und ueppig bemessen zu nennen - interessantes Indiz fuer die innerstaedtischen Grundstueckpreise!), wird Freilufterholung und Grillen eben in die Parks verlegt. Fest installierte Grillplaetze koennen bei der Kommunalverwaltung reserviert werden und erfreuen sich reger Nutzung von morgens bis abends durch umfangreiche familiaere Grillgemeinschaften unter Einbeziehung aller Generationen.
Vielleicht ist hier am deutlichsten zu sehen, dass dem Zusammenhalt der Grossfamilie mehr Aufmerksamkeit als in Deutschland zugebilligt wird. Das hat sicher auch handfeste wirtschaftliche Hintergruende. Der kanadische Staat ist im Grossen und Ganzen durchaus zurueckhaltend, was das Erbringen sozialer Leistungen angeht, vielmehr werden Foerderungen sehr gezielt gewaehrt. Viel wird in die Bildung investiert, es gibt ein gut bezahltes Erziehungsjahr fuer Muetter (ca. 350$ in der Woche, unabhaengig vom Einkommen der Vaeter); aber im Krankheitsfall ist man mit nicht nur symbolischen Selbstbeteiligungen dabei. Etwas Vergleichbares wie Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe wird hoechstens 12 Monate gezahlt und das Rentenniveau liegt staerker als in Deutschland unter dem Arbeitslohn. Somit ist die Familie gefordert, Notlagen abzufedern. Darueberhinaus ist die Familie immer hilfreich, wenn es darum geht, Neuankoemmlinge aus den Heimatlaendern in Kanada zu integrieren. Und letztendlich ist unser Start hier ja auch durch persoenliche Beziehungen so problemlos gelaufen.