27.05.2005
Wenn einer eine Reise tut...
dann kann er was erleben. Wir nutzten die zweite Aprilhaelfte zu einer Expedition in die oestlichen Provinzen Kanadas und gingen guten Mutes mit unendlichem Vertrauen in die Verkehrs- und Betriebssicherheit unseres Autos auf die Reise nach Quebec, New Brunswick, Prince Edward Island, Nova Scotia an den Atlantik und zurueck. Nach schaetzungsweise 67 Durchlaeufen von "Konig der Loewen" im Autoradio landeten wir wieder am 1. Mai wohlbehalten in Toronto. Und hier ist unser Bericht:
Karten von http://wuarchive.wustl.edu
16. April. Montreal, Quebec. Montreal ist die groesste Stadt, wenn auch nicht die Hauptstadt, der franzoesischsprachigen Provinz Quebec. Hier sollten wir - dem Vernehmen nach - lebendiges, kulturvolles europaeisches Ambiente in einer so historischen wie modernen Innenstadt erwarten. Zunaechst
erwartete uns jedoch an einem spaeten Samstag abend unser Quartier
fuer die ersten zwei Naechte unserer Reise, die Jugendherberge zu
Montreal. Die Jugendherbergen boten uns oft preiswerte und
zweckmaessige Behausung. Verkehrsguenstig gelegen, hatten wir es
am naechsten Tag nicht schwer, mit der Metro, ganz wie das Pariser
Vorbild gummibereift, in das Stadtzentrum zu gelangen. Um die folgenden Eindruecke einordnen zu koennen, ist ein Blick in die Geschichte Kanadas noetig. Seit jeher haben die Briten und die Franzosen bekanntermassen ein nicht unbedingt herzliches Verhaeltnis zueinander. Auch in Uebersee gab es diverse Meinungsverschiedenheiten, die ganz und gar nicht zimperlich ausgetragen wurden. Kanada fiel letztendlich 1763 an die britische Krone, jedoch wurde schon 1774 mit dem Quebec Act die erste einer Reihe von Sonderregelungen und Zugestaendnissen fuer Quebec inkraft gesetzt. Seither hat es stets Bestrebungen seitens der Quebecios gegeben, einen eigenen und unabhaengigen Staat zu gruenden. Durch die Gruendung der separatistischen "Parti Quebecois" 1968 und die anschliessenden Wahlerfolge dieser Partei begannen die Auseinandersetzungen an Schaerfe zuzunehmen. Die Weltausstellung 1967 und die Olympischen Spiele 1976 haben das Stadtbild von Montreal gepraegt. Reihenweise Bauten mit viel Beton im Charme der 70er Jahre zieren das Stadtbild. Durch die politische Entwicklung in der selben Epoche (Zum Beispiel sind per Gesetz die Manager grosser Konzerne verpflichtet worden, Franzoesischkenntnisse nachzuweisen) begann sich die Wirtschaft teilweise aus Quebec zurueckzuziehen - sehr zum Vorteil von Ontario mit seiner Hauptstadt Toronto. Das fuehrte zu einer Stagnation der Entwicklung. So wirkte Montreal am fruehen Sonntag nachmittag nicht uebermaessig anheimelnd, an einigen Ecken auch nicht immer appetitlich. Doch wo war die vielbeschworene franzoesische Lebensart? Nach
17:00 Uhr, beim Verlassen des "Musee des Beaux-Arts de
Montreal", schien dann doch Leben in die sonntaegliche Stadt
gekommen zu sein. Die Strassencafes waren bis auf den letzten
Platz besetzt und schicke Autos standen davor. Etablissements wie
McDonald's und Starbucks-Coffee blieben konsequenterweise fast
leer. Wir machten vor unserer Rueckkehr in die Herberge Rast im
Jazzclub "Upstairs", der sich jedoch Downstairs im
Keller befand. Der Kellner war mit uns am fruehen Abend allein -
Zeit fuer einen Schwatz, bei dem wir erfuhren, dass die nett
aussehenden Strassencafes in aller Regel nur ein sehr
durchschnittliches gastronomisches Niveau bieten, aber das sei
fuer us-amerikanische Touristen, die glauben, wie Gott in
Frankreich zu dinieren, allemal ausreichend. Wir erhielten von ihm
auch eine Liste mit empfehlenswerten Restaurants in Montreal, aus
Zeitgruenden muessen wir uns das Testen fuer ein anderes Mal
aufheben. Vielleicht kann man in Montreal
tatsaechlich gut essen, trinken, Musik hoeren. Aber man muss dazu
nicht mehr wie vor 30 Jahren unbedingt nach Montreal
fahren.
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18. April. Riviere du Loup, Quebec. Auf unserer Tour wuerden wir noch einige Male feststellen muessen, dass wir vor der Saison nur ein begrenztes touristisches Programm erwarten duerfen. Das galt erfreulicherweise nicht fuer den Sugarshack, den grenzenlosen Genuss frisch gezapften Ahornsirups. Quebec produziert den Loewenanteil dieser suessen Leckerei, daher findet man bis Anfang Mai allerorten Moeglichkeiten, Ahornsirup in allen Varianten zu sich zu nehmen. Eine halbe Stunde von Montreal entfernt kehrten wir dann in eine "Zuckerbude" (=Sugarshack) ein und bekamen ein Potpourri aller moeglichen und unmoeglichen Dinge auf den Teller, die man mit Ahornsirup zubereiten kann. Nudelsalat, Erbsensuppe, Schweinebraten und Wiener Wuerstchen (mit Sirup!) waren definitiv eine kulinarische Ueberraschung. Lecker war "Sugar on Ice". Aufgekochter, karamelisierter Sirup wird auf Schnee oder gestossenes Eis gegossen, um ein Holzstaebchen gewickelt und als Lutscher verspeist. Suchtpotential garantiert! Unsere Fahrt nach Riviere du Loup fuehrte uns am St. Lorenz- Strom entlang, zwischendurch erregte ein unbeschrankter Bahnuebergang auf der Autobahn allgemeine Verwunderung. Riviere du Loup ist ein kleines, beschauliches Staedtchen, dass sich durch die strategisch guenstige Lage am Transkanada-Highway als Uebernachtungsquartier anbietet. Durch einen freundlichen Hinweis unseres Herbergsleiters angeregt, fuhren wir vor unserer Weiterreise an den St-Lorenz-Strom und konnten Robben und Beluga-Wale in freier Wildbahn beobachten. Die Mittagsmahlzeit, in einem Bistro am Faehrhafen eingenommen, erinnerte uns daran, dass Quebec erst im Jahr 2006 ein Rauchverbot in Gaststaetten gesetzlich verankern will, sehr zum Unwillen vieler traditionsbewusster Quebecois, fuer uns leider zu spaet. Vor dem Ueberschreiten der Provinzgrenzen nach New Brunswick schnell noch Wein gekauft. Die Provinz Quebec unterstuetzt die Vorstellungen vieler Nordamerikaner, dass hemmungsloser Alkoholgenuss integraler Bestandteil europaeischer Lebensart ist. Alkohol ist in Quebec (im Unterschied zu den anderen Provinzen) in jedem Lebensmittelgeschaeft erhaeltlich. Der oberste zulaessige Alkoholgehalt im Autofahrerblut ist fuer Quebec 0,08. Der in diesem Zusammenhang ungewohnte Zahlenwert weist uns darauf hin, dass in Quebec die Blutalkoholkonzentration gleich in Prozent und gar nicht erst in derartig mickrigen Einheiten wie Promille gemessen wird. Nun wussten wir auch, warum unsere Handytarife unschlagbar guenstig waren. Kein Empfang in laendlicher Idylle. Fido's naechster Sendemast sollte erst in Halifax stehen.
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19. April. Fredericton, New Brunswick. New
Brunswick (der Name ist die anglisierte Variante von "Neu
Braunschweig") ist die einzige wirklich zweisprachige Provinz
Kanadas, englisch- und franzoesischsprechende Einwohner halten
sich zahlenmaessig die Waage. Die Hauptstadt dieser Provinz ist
Fredericton, die wir am Abend dieses Tages erreichten.
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20. April. St. John, New Brunswick. Weiter
ging es - dem St. John River folgend. New Brunswick ist im Prinzip
menschenleer, und mitunter auch im April noch recht kalt,
die Bevoelkerung wohnt entweder entlang des St. John River oder an
der Atlantikkueste. Typisch fuer New Brunswick sind ueberdachte
Bruecken - ein Relikt aus der Zeit der Pferdefuhrwerke. Die
Gaeule waren stets aengstlich, vereiste Bruecken zu betreten, da
wurden die Bruecken kurzerhand ueberdacht.
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22. April. Charlottetown, Prince Edward Island (PEI). Das Prince Edward Island kann Kanadas niedlichste Provinz genannt werden. Eine Karte der Provinz klassifiziert die Ortschaften wie folgt:
Es
gibt nicht viele Orte der letzten Kategorie. Die Hauptstadt und
"Megametropole" Charlottetown nennt 30.000 Seelen ihr
eigen. Auf die Insel geht es seit 1998 ueber eine mautpflichtige
13 Kilometer lange wunderschoene Bruecke. Die Maut betraegt runde
40$. Damit niemand vor dem Befahren der Insel abgeschreckt wird
und die PEI-er sich nicht allein fuehlen, wird die gesamte Maut
erst beim Verlassen der Insel kassiert. Wer in Geldnot ist, muss
bleiben. Der Versuch, die Insel weiter suedlich mit einer Faehre
zu verlassen, ist genauso teuer und auch nur ab 1. Mai moeglich.
Industrie gibt's kaum, stattdessen Landwirtschaft und Tourismus.
In Kanada sind die Kartoffeln der Inseln sehr begehrt, die in der
roten Erde PEIs gedeihen. Ob sie
besser schmecken, wagen wir nicht zu beurteilen, zumindest sind
sie optisch recht attraktiv. Das Prince Edward Island ist
beliebtes Urlaubsziel. Die Saison beginnt nicht vor dem 1. Mai.
Vorher befindet sich die Insel in Winterstarre. "Closed for
the Season" haengt bis Ende Mai in vielen Schaufenstern, bis
dahin ist PEI nur ein Geheimtip fuer Leute, die nichts anderes
brauchen als Ruhe. An
dieser Stelle muss zum ersten, aber leider nicht zum letzten Mal,
auf den Zustand unseres fahrbaren Untersatzes hingewiesen werden.
Bei der Ankunft in Charlottetown wiesen uns das Aufleuchten einer
roten Lampe und unueberhoerbare Geraeusche darauf hin, dass der
Regler nicht mehr regeln wollte. Wir verbrachten unsere erste
Nacht ausgerechnet in einem Motel, ironischerweise ohne unser
Auto. Das stand bei "Canadian Tire" - einer Mischung aus
Autowerkstatt, Ersatzteilhandel und Baumarkt. Wir wuerden noch
mehrere Filialen von "Canadian Tire" kennenzulernen
haben.
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24. April. Halifax, Nova Scotia. Vorschalldaempfer
heisst "Muffler", das naechste neue Wort gelernt.
Lautstark gestaltete sich unser Einzug nach Halifax, der Rost
hatte ganze Arbeit geleistet. "Canadian Tire" - da sind
wir wieder!
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26. April. Wentworth, Nova Scotia. Unser
Stolz, die englische Sprache schon soweit zu beherrschen, dass wir
manchmal sogar schon die fuerchterlich genuschelten
Stationsansagen der U-Bahn zu Toronto verstehen, erhielt in
Wentworth einen herben Daempfer. |
27. April. Riviere du Loup, Quebec. Ein Stueck an der Antlantikkueste New Brunswicks entlang, mit einem Halt an der Kueste. Der Atlantik hier alles andere als glasklar. In Miramichi (der gleichnamige Fluss gilt neben dem St. John- River als hervorragendes Lachsgewaesser) begann die Ost-West-Durchfahrt durch New Brunswick. 100 Kilometer nur Wald, kein Ort, nur ein paar einsame Huetten am Strassenrand. Ganze 19 Autos kamen uns waehrend der Fahrt durch die kanadische Wildnis, wie man sie sich vorstellt, entgegen. An den Grand Falls, wieder am St. John River, Station gemacht und weiter nach Riviere du Loup. Die Fahrt durch die dunkle Stadt ohne Stadtplan war schwierig, zumal man als Englisch sprechender Reisender von den Einheimischen nicht erwarten sollte, eine Antwort zu erhalten.
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28. April. Quebec, Quebec. Die erste Sehenswuerdigkeit in Quebec war - Canadian Tire! Der Regler, ein zweites Mal. Zum Glueck auf Garantie. Die Jugendherberge in Quebec bot uns fuer die naechsten 2 Naechte Quartier, mitten im Stadtzentrum gelegen. Quebec ist im 18. Jahrhundert von franzoesischen Eroberern wegen seiner strategisch guenstigen Lage auf einer Erhebung am St. Lorenz-Strom gegruendet worden. Quebec City besitzt in der Tat historisches Ambiente und als einzige Stadt Nordamerikas Teile einer alten Stadtmauer. Kuenstlergassen, Schloesser und Festungen verstroemen europaeisches Flair. Darum werden auch Hundertschaften von Schuelern in unzaehligen Bussen Tag fuer Tag nach Quebec gefahren, um - egal bei welchem Wetter - erst ein bisschen Geschichte zu erleben und danach die selben Laeden zu stuermen, die auch von Schuelern anderer Kontinente bei ihren Ausfluegen heimgesucht werden. Einen Eindruck, welcher Art das vermittelte Geschichtswissen ist, gewannen wir anlaesslich eines Besuchs in einem Wachsfigurenkabinett (Das Wetter war wirklich SEHR schlecht!). Die Geschichte Quebecs umfasst hiernach im Wesentlichen drei Hauptschwerpunkte.
Eine derartig unbefangene Geschichtsauffassung soll auch in den Geschichtsbuechern in Quebecs Schulen zu finden sein. Geschichte spielt im Denken und Handeln der Quebecois eine herausragende Rolle. Da man nicht alles gleichzeitig im Blick haben kann, scheint dafuer die Zukunft ein bisschen zu kurz zu kommen. Grosse Energie wird darauf verwendet, Traditionspflege zu betreiben und fremden Einfluessen Einhalt zu gebieten. Im Gegensatz zu Ontario spielt hier z.B. die Nationalitaet und Muttersprache eine Rolle bei der Bewerbung, im Ontario bewirbt man sich dagegen ueblicherweise sogar ohne Altersangabe. Es scheint fuer Quebec eine paradoxe Parallelitaet zu den USA zu bestehen, was die Toleranz und Offenheit fuer fremde Kulturen angeht. So haben wir, als wir unsere Eindruecke von Quebec in Mississauga schilderten, auch erfahren, dass der Rassismus in Quebec eine groessere Rolle als woanders in Kanada spielt.
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30. April. Ottawa, Ontario Muss erwaehnt werden, dass der Regler bei Canadian Tire in Ottawa ein weiteres Mal gewechselt werden musste? Prinzipiell ist es eine originelle Idee, ein ehemaliges Gefaengnis zu einer Jugendherberge umzubauen. Fuer unser Empfinden hat man sich beim Umbau des alten Knastes in Ottawa ein bisschen zu sehr am Komfort des Originals orientiert, so dass unser Urteil fuer die JH Ottawa lautet: nicht empfehlenswert. Sehr empfehlenswert dagegen die Nationalgalerie in Ottawa, die sowohl durch raffinierte Architektur als auch durch die Qualitaet der Sammlung ueberzeugt, und wiederum das Museum of Civilization Canada. Bestandteil dieses Museums, das wir schon waehrend unseres ersten Ottawa-Besuchs im Januar betraten, ist ein Postmuseum. Die Kinder durften nach der Beantwortung einiger Fragen eine Briefmarke ihrer Wahl aus einer Sammlung aussuchen. Wie gross war mein Erstaunen, als ich sah, dass ein Grossteil der Marken aus DDR-Produktion stammte. Der Museumsmitarbeiter erklaerte mir, dass die DDR-Marken durch eine hervorragende Gestaltung auffielen und seine Lieblingsmarke auch eine DDR-Marke sei.
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Am Abend des 30. April, Hwy. 401, 200 km vor Toronto, Ontario. An einer Autobahnraststaette war
die Fahrt zu Ende. Wieder einmal war es der CAA,
der uns und unser erschoepftes Vehikel nach Hause fuhr. Dieses Mal
machte uns ein kaputtes Getriebe fuer die naechste Woche zu
Fussgaengern. |
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